Sonntag, 27. April 2014

Woher nehmen Sie Ihre Ideen?



Es gibt eine Standardfrage, die bei Lesungen immer wieder gestellt wird, und die lautet: „Woher nehmen Sie Ihre Ideen?“ Manche Kollegen ziehen es vor, den Fragesteller mit ihrer Antwort auf den Arm zu nehmen, oder sie lästern hinterher darüber ab, was ich ziemlich arrogant finde. Dies ist nun mal das, was Menschen interessiert, die nicht beruflich Geschichten schreiben. Was tut es, dass die Frage nahezu jedes Mal gestellt wird? Es sitzen schließlich immer andere Personen im Publikum. Wenn ich, sagen wir, mit einem Bäcker ins Gespräch käme, würde ich ihn auch fragen, was vermutlich jeder von ihm wissen will: „Wie schaffen Sie es, jeden Morgen so früh aufzustehen?“ Und würde von ihm erwarten, dass er mich mit meiner Frage ernst nimmt.

Bei ungewöhnlichen Geschichten ist der Wunsch, mehr über ihre Entstehung zu erfahren, besonders verständlich. Im vergangenen Jahr hatte ich beispielsweise eine Lesung, während der ich unter anderem aus meinem Buch „Erzählungen aus dem Zwischenraum“ die Kurzgeschichte „Sechsunddreißig Quadratmeter Ringlage“ las, die eine auch für meine Verhältnisse ausgefallene Handlung hat. Als ich während der Lesung aufsah, blickte ich in das Gesicht einer fasziniert lauschenden Dame, die dabei in einem fort ungläubig den Kopf schüttelte. Ich konnte ihre Gedanken förmlich hören: „Wie, zum Teufel, kommt er nur auf so was?“ Ich konnte nicht anders – ich brach in Gelächter aus. Was für allgemeine Erheiterung sorgte.

Die Frage nach dem Ursprung von Ideen ernst zu nehmen, ist eine Sache, sie zu beantworten, eine andere. Ich habe keine Ahnung, wie Ideen zu mir kommen. Sie kommen eben. Eines der wichtigsten Dinge, die man als Autor lernt, ist, sich allem zu öffnen, was einem begegnet, allen Gedanken, die einem durch den Kopf schießen, allen abstrusen Querverbindungen und Analogien. Darüber hinaus gibt es allerdings einige Strategien, die ich mir angewöhnt habe, um meinen Ideen zu helfen, ans Tageslicht zu kommen.

Da wäre zum einen meine „Ideen“-Datei. Hier notiere ich alles, was mir so einfällt, für das ich aber im Augenblick gerade keine Verwendung habe: die Marotte einer Figur, einen Handlungsfaden, eine Situation, Gags. Gelegentlich, wenn ich an einer Geschichte arbeite und auf der Suche nach einem Detail bin, schaue ich dort nach und werde manchmal sogar fündig. Doch für jedes Element, das ich der Datei entnehme, füge ich zehn neue wieder ein, Ideen, die mir beim Grübeln über das aktuelle Werk eingefallen sind, die ich jedoch für diese spezielle Geschichte verworfen habe. Somit schwillt der Umfang der Datei von Tag zu Tag an. Nicht, dass ich mich darüber beschweren möchte.

Dann gibt es da noch die Momente – und die gibt es praktisch jeden Tag –, wenn ich schreibe und plötzlich vor einem Problem stehe, dessen Lösung einiges Nachdenken erfordert: eine clevere Wendung, die ein Dialog nehmen soll, die ungeklärte Vergangenheit einer Randfigur oder eine Information, die ich versäumt habe zu recherchieren. Dann unterbreche ich meine Arbeit und wandere, mit Zettel und Kugelschreiber bewaffnet, am Kanal entlang. Wenn sich der Körper bewegt, bewegt sich meiner Erfahrung nach auch der Geist. Dass ich dabei den Eindruck eines zerstreuten Professors mache und häufig auch entgegenkommende Freunde übersehe, weil ich völlig von meinen Gedanken absorbiert bin, kann ich nicht ändern. Immerhin komme ich in neunundneunzig Prozent der Fälle zumindest mit einem Lösungsansatz nach Hause zurück.

Soweit die Realität. Natürlich würde ich lieber behaupten, ich hätte 1979 auf dem Dachboden einen alten Koffer voller Ideen gefunden, die ich bis heute verwerte. Oder ich würde jeden Tag einen diskreten Umschlag mit Vorschlägen zugeschickt bekommen, von jemandem, den ich nur mit Decknamen kenne und der am Telefon immer einen Sprachverzerrer einschaltet. Oder ich würde im Keller ein Dutzend angekettete Gnome halten, die den ganzen Tag für mich Geschichten ausbrüten.

Die Wahrheit kann verdammt unspektakulär sein.

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Gunnar