Es gibt eine Standardfrage, die
bei Lesungen immer wieder gestellt wird, und die lautet: „Woher nehmen Sie Ihre
Ideen?“ Manche Kollegen ziehen es vor, den Fragesteller mit ihrer Antwort auf
den Arm zu nehmen, oder sie lästern hinterher darüber ab, was ich ziemlich
arrogant finde. Dies ist nun mal das, was Menschen interessiert, die nicht
beruflich Geschichten schreiben. Was tut es, dass die Frage nahezu jedes Mal
gestellt wird? Es sitzen schließlich immer andere Personen im Publikum. Wenn
ich, sagen wir, mit einem Bäcker ins Gespräch käme, würde ich ihn auch fragen,
was vermutlich jeder von ihm wissen will: „Wie schaffen Sie es, jeden Morgen so
früh aufzustehen?“ Und würde von ihm erwarten, dass er mich mit meiner Frage
ernst nimmt.
Bei ungewöhnlichen Geschichten
ist der Wunsch, mehr über ihre Entstehung zu erfahren, besonders verständlich.
Im vergangenen Jahr hatte ich beispielsweise eine Lesung, während der ich unter
anderem aus meinem Buch „Erzählungen aus dem Zwischenraum“ die Kurzgeschichte
„Sechsunddreißig Quadratmeter Ringlage“ las, die eine auch für meine
Verhältnisse ausgefallene Handlung hat. Als ich während der Lesung aufsah,
blickte ich in das Gesicht einer fasziniert lauschenden Dame, die dabei in einem
fort ungläubig den Kopf schüttelte. Ich konnte ihre Gedanken förmlich hören:
„Wie, zum Teufel, kommt er nur auf so was?“ Ich konnte nicht anders – ich brach
in Gelächter aus. Was für allgemeine Erheiterung sorgte.
Die Frage nach dem Ursprung von
Ideen ernst zu nehmen, ist eine Sache, sie zu beantworten, eine andere. Ich
habe keine Ahnung, wie Ideen zu mir kommen. Sie kommen eben. Eines der
wichtigsten Dinge, die man als Autor lernt, ist, sich allem zu öffnen, was
einem begegnet, allen Gedanken, die einem durch den Kopf schießen, allen
abstrusen Querverbindungen und Analogien. Darüber hinaus gibt es allerdings
einige Strategien, die ich mir angewöhnt habe, um meinen Ideen zu helfen, ans
Tageslicht zu kommen.
Da wäre zum einen meine
„Ideen“-Datei. Hier notiere ich alles, was mir so einfällt, für das ich aber im
Augenblick gerade keine Verwendung habe: die Marotte einer Figur, einen
Handlungsfaden, eine Situation, Gags. Gelegentlich, wenn ich an einer
Geschichte arbeite und auf der Suche nach einem Detail bin, schaue ich dort
nach und werde manchmal sogar fündig. Doch für jedes Element, das ich der Datei
entnehme, füge ich zehn neue wieder ein, Ideen, die mir beim Grübeln über das
aktuelle Werk eingefallen sind, die ich jedoch für diese spezielle Geschichte verworfen
habe. Somit schwillt der Umfang der Datei von Tag zu Tag an. Nicht, dass ich
mich darüber beschweren möchte.
Dann gibt es da noch die Momente
– und die gibt es praktisch jeden Tag –, wenn ich schreibe und plötzlich vor
einem Problem stehe, dessen Lösung einiges Nachdenken erfordert: eine clevere
Wendung, die ein Dialog nehmen soll, die ungeklärte Vergangenheit einer
Randfigur oder eine Information, die ich versäumt habe zu recherchieren. Dann unterbreche
ich meine Arbeit und wandere, mit Zettel und Kugelschreiber bewaffnet, am Kanal
entlang. Wenn sich der Körper bewegt, bewegt sich meiner Erfahrung nach auch
der Geist. Dass ich dabei den Eindruck eines zerstreuten Professors mache und
häufig auch entgegenkommende Freunde übersehe, weil ich völlig von meinen
Gedanken absorbiert bin, kann ich nicht ändern. Immerhin komme ich in
neunundneunzig Prozent der Fälle zumindest mit einem Lösungsansatz nach Hause zurück.
Soweit die Realität. Natürlich
würde ich lieber behaupten, ich hätte 1979 auf dem Dachboden einen alten Koffer
voller Ideen gefunden, die ich bis heute verwerte. Oder ich würde jeden Tag
einen diskreten Umschlag mit Vorschlägen zugeschickt bekommen, von jemandem,
den ich nur mit Decknamen kenne und der am Telefon immer einen Sprachverzerrer
einschaltet. Oder ich würde im Keller ein Dutzend angekettete Gnome halten, die
den ganzen Tag für mich Geschichten ausbrüten.
Die Wahrheit kann verdammt
unspektakulär sein.
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Gunnar