Sonntag, 27. Juli 2014

Erste Sätze



Letzte Woche habe ich endlich damit begonnen, den nächsten Band meiner Krimiserie aus der Weimarer Republik zu schreiben. Alle anderen Arbeiten sind weitgehend vom Tisch oder aufgeschoben, sodass ich mich voll und ganz auf dieses Buch konzentrieren kann.

Ich lasse ja absichtlich immer Zeit zwischen der Arbeit an meinen Krimis vergehen, nicht nur, weil etliche andere Geschichten danach drängen, erzählt zu werden, sondern auch, weil ich keine Fließbandarbeit machen möchte. Wenn ich zwischendurch einen Fantasyroman oder ein Kinderbuch einschiebe, habe ich anschließend wieder einen frischen Blick auf meine Serie. Und so ist es denn auch jedes Mal eine Freude für mich, wenn ich nach längerer Abwesenheit in die Zwanzigerjahre des vorigen Jahrhunderts zurückkehre. Das ist, als würde ich alte Bekannte treffen; ich bin dann selbst gespannt, wie sich Hendrik, Diana und Gregor in der Zwischenzeit entwickelt haben.

Da ich ein Fan von originellen Romananfängen bin, nehme ich mir immer viel Zeit für die Suche nach dem ersten Satz, einem Satz, der etwas Besonderes ist, weil er Atmosphäre besitzt oder bereits etwas über das Thema des Buches verrät und in jedem Fall den Leser in die Geschichte hineinziehen soll. Als ich damals mit Schreiben anfing, empfand ich die Exposition eines Buches als besonders schwierig. Heute gehört das zu den Dingen, die mir den meisten Spaß machen. Irgendwann werde ich mal ein Buch schreiben, das nur aus ersten Sätzen besteht. :-)

Die Kunst der Exposition liegt darin, so viel wie möglich wegzulassen. Erklärungen langweilen, und wenn man nur das Nötigste verrät, wird es umso spannender. Das gilt übrigens erst recht für Ereignisse, die sich in früheren Bänden zugetragen haben, für das Verständnis der aktuellen Geschichte aber wichtig sind und daher Lesern, die erst später einsteigen, mitgeteilt werden müssen. Hier suche ich immer nach Möglichkeiten, diese Informationen beiläufig, gewissermaßen unbemerkt, einfließen zu lassen. Nichts ist grauenvoller als eine seitenlange Zusammenfassung der bisherigen Geschehnisse. Das ist, als würde man die treuen Leser, die das alles schon kennen, für ihre Treue bestrafen.

Wenn man eine Geschichte aus der Gedanken- und Gefühlswelt der Figuren heraus erzählt, gibt es unzählige Möglichkeiten, um Informationen beiläufig einzustreuen. Die Figur entdeckt diese Information selbst gerade (am besten Stück für Stück), sie streitet mit jemandem darüber, sie glaubt sie jemandem nicht etc.

In „Zeppelin 126“ hätte ich beispielsweise lang und breit erklären können, wie es dazu kam, dass Hendrik und Diana mit dem Zeppelin nach London fahren, dass nämlich Dianas Schwester sie eingeladen hat, dass deren Mann seine beruflichen Beziehungen spielen ließ etc. Stattdessen schildere ich zu Beginn lediglich Dianas Furcht, ein Telegramm ihrer Schwester (das nie im Wortlaut wiedergegeben wird) könne sich als falsch herausstellen oder es könne im letzten Augenblick etwas dazwischenkommen. Und den Zusammenhang zwischen ihrem Mann und den Zeppelinwerken verschiebe ich gar bis ans Ende des vierten Kapitels, wo es Teil eines Flirts zwischen Diana und einem Fahrgast ist.

Aber zurück zu den ersten Sätzen. In „Dunkle Tage“, dem ersten Band meiner Saga, bewegte sich der Anfang noch im genretypischen Rahmen:
Der erste Stoß kam für Max Unger völlig unerwartet.

Im zweiten Band, „Organisation C.“, ist das Ganze schon subtiler:
Obwohl er es hätte besser wissen sollen, schöpfte Hartmut Gensch keinen Verdacht.

Den Beginn von „Inflation!“ liebe ich besonders, weil er nicht nur etwas über die Figur verrät, sondern zugleich über die Zeit, die politischen und sozialen Umstände:
Wenn Evolution die Folge bestmöglicher Anpassung an bestehende Lebensbedingungen ist, dann mussten Nachkriegszeit, Revolution und Geldentwertung zwangsläufig jemanden wie Ulf Weber hervorbringen.

Und in „Zeppelin 126“ gibt der erste Satz einen Einblick in die Mentalität der beschriebenen Person:
Letzten Endes gaben weder Pflichtbewusstsein noch Wagemut den Ausschlag, sondern das unbedingte Vertrauen in deutschen Erfindergeist.

Nun schreibe ich am fünften Band, der ja im Theatermilieu spielt. Die ersten beiden Sätze lauten:
Letzte Worte sind selten tiefgründig oder poetisch. Es sei denn, sie stammen von Shakespeare.

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Gunnar