Letzte Woche habe ich endlich
damit begonnen, den nächsten Band meiner Krimiserie aus der Weimarer Republik
zu schreiben. Alle anderen Arbeiten sind weitgehend vom Tisch oder
aufgeschoben, sodass ich mich voll und ganz auf dieses Buch konzentrieren kann.
Ich lasse ja absichtlich immer
Zeit zwischen der Arbeit an meinen Krimis vergehen, nicht nur, weil etliche
andere Geschichten danach drängen, erzählt zu werden, sondern auch, weil ich
keine Fließbandarbeit machen möchte. Wenn ich zwischendurch einen Fantasyroman
oder ein Kinderbuch einschiebe, habe ich anschließend wieder einen frischen
Blick auf meine Serie. Und so ist es denn auch jedes Mal eine Freude für mich,
wenn ich nach längerer Abwesenheit in die Zwanzigerjahre des vorigen
Jahrhunderts zurückkehre. Das ist, als würde ich alte Bekannte treffen; ich bin
dann selbst gespannt, wie sich Hendrik, Diana und Gregor in der Zwischenzeit
entwickelt haben.
Da ich ein Fan von originellen
Romananfängen bin, nehme ich mir immer viel Zeit für die Suche nach dem ersten
Satz, einem Satz, der etwas Besonderes ist, weil er Atmosphäre besitzt oder
bereits etwas über das Thema des Buches verrät und in jedem Fall den Leser in
die Geschichte hineinziehen soll. Als ich damals mit Schreiben anfing, empfand
ich die Exposition eines Buches als besonders schwierig. Heute gehört das zu
den Dingen, die mir den meisten Spaß machen. Irgendwann werde ich mal ein Buch
schreiben, das nur aus ersten Sätzen besteht. :-)
Die Kunst der Exposition liegt
darin, so viel wie möglich wegzulassen. Erklärungen langweilen, und wenn man
nur das Nötigste verrät, wird es umso spannender. Das gilt übrigens erst recht
für Ereignisse, die sich in früheren Bänden zugetragen haben, für das Verständnis
der aktuellen Geschichte aber wichtig sind und daher Lesern, die erst später einsteigen,
mitgeteilt werden müssen. Hier suche ich immer nach Möglichkeiten, diese Informationen
beiläufig, gewissermaßen unbemerkt, einfließen zu lassen. Nichts ist
grauenvoller als eine seitenlange Zusammenfassung der bisherigen Geschehnisse.
Das ist, als würde man die treuen Leser, die das alles schon kennen, für ihre
Treue bestrafen.
Wenn man eine Geschichte aus der
Gedanken- und Gefühlswelt der Figuren heraus erzählt, gibt es unzählige
Möglichkeiten, um Informationen beiläufig einzustreuen. Die Figur entdeckt
diese Information selbst gerade (am besten Stück für Stück), sie streitet mit jemandem
darüber, sie glaubt sie jemandem nicht etc.
In „Zeppelin 126“ hätte ich
beispielsweise lang und breit erklären können, wie es dazu kam, dass Hendrik
und Diana mit dem Zeppelin nach London fahren, dass nämlich Dianas Schwester
sie eingeladen hat, dass deren Mann seine beruflichen Beziehungen spielen ließ
etc. Stattdessen schildere ich zu Beginn lediglich Dianas Furcht, ein Telegramm
ihrer Schwester (das nie im Wortlaut wiedergegeben wird) könne sich als falsch
herausstellen oder es könne im letzten Augenblick etwas dazwischenkommen. Und
den Zusammenhang zwischen ihrem Mann und den Zeppelinwerken verschiebe ich gar
bis ans Ende des vierten Kapitels, wo es Teil eines Flirts zwischen Diana und
einem Fahrgast ist.
Aber zurück zu den ersten Sätzen.
In „Dunkle Tage“, dem ersten Band meiner Saga, bewegte sich der Anfang noch im
genretypischen Rahmen:
Der erste Stoß kam für Max Unger völlig unerwartet.
Im zweiten Band, „Organisation
C.“, ist das Ganze schon subtiler:
Obwohl er es hätte besser wissen sollen, schöpfte Hartmut Gensch keinen
Verdacht.
Den Beginn von „Inflation!“ liebe
ich besonders, weil er nicht nur etwas über die Figur verrät, sondern zugleich
über die Zeit, die politischen und sozialen Umstände:
Wenn Evolution die Folge bestmöglicher Anpassung an bestehende
Lebensbedingungen ist, dann mussten Nachkriegszeit, Revolution und
Geldentwertung zwangsläufig jemanden wie Ulf Weber hervorbringen.
Und in „Zeppelin 126“ gibt der
erste Satz einen Einblick in die Mentalität der beschriebenen Person:
Letzten Endes gaben weder Pflichtbewusstsein noch Wagemut den
Ausschlag, sondern das unbedingte Vertrauen in deutschen Erfindergeist.
Nun schreibe ich am fünften Band,
der ja im Theatermilieu spielt. Die ersten beiden Sätze lauten:
Letzte Worte sind selten tiefgründig oder poetisch. Es sei denn, sie
stammen von Shakespeare.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Vielen Dank für deinen Kommentar. Sobald ich ihn geprüft habe, schalte ich ihn frei.
Viele Grüße
Gunnar