Sonntag, 6. Juli 2014

Was ich dem Theater verdanke



Ich hatte ja neulich versprochen, ein bisschen über meine Zeit am Theater zu verraten. Mit fliegenden Fahnen habe ich mich damals, 1982, in diese fremde Welt gestürzt, mit Hoffnungen, die vielleicht nur jemand verstehen kann, der wie ich aus einer Kleinstadt im Zonenrandgebiet kommt, wo Fuchs und Has‘ nur noch ein müdes Gähnen füreinander übrig hatten. Und tatsächlich erwies sich das Theater als ein Ort, an dem einem Herzlichkeit, Offenheit und Toleranz begegnete. Leider auch Oberflächlichkeit und Starallüren.

1997 habe ich das Theater in einem bewussten Schritt verlassen, weil ich die Nase voll hatte von Befindlichkeiten, Egoismus und Unzuverlässigkeit. Letzten Endes habe ich dort nie die Heimat gefunden, die ich mir mal erhoffte. Deshalb kann ich nicht anders als mit Wehmut an diese Zeit zurückdenken. Wie wohl die meisten Menschen, die mit Enthusiasmus und Idealen zum Theater kommen, habe ich einen großen Teil davon auf meinem Weg verloren und bin am Ende reichlich desillusioniert gewesen. Was nichts daran ändert, dass ich manchmal die besondere Bühnenatmosphäre vermisse, das Herzklopfen vor einer Vorstellung, das Miteinander. Meine Liebe für das Theater und die besondere Magie, die nur dort möglich ist, stirbt nie.

Bei allen Enttäuschungen werde ich auch immer zugeben, dass ich dem Theater unendlich viel verdanke. Ich habe dort so manches gelernt, für meine Arbeit ebenso wie fürs Leben. Und mit Arbeit meine ich keineswegs nur die Sprechtechnik, die mir bei meinen Lesungen zugute kommt, sondern mehr noch all die Dinge, die ich beim täglichen Schreiben brauche, und zwar egal, ob es sich um ein Theaterstück oder einen Roman handelt: Die Regeln der Dramaturgie und das richtige Verhältnis zwischen Spannung und Entspannung, um nur einige Aspekte zu nennen, sind universell.

Dass es auf die Details ankommt, ist eine weitere Erkenntnis, die das Theater in mir befördert hat. Ein Satz wie „Es war eingebrochen worden, die Einrichtung lag kreuz und quer durcheinander“ ist nichtssagend. Schreibe ich hingegen: Schubladen waren herausgezogen, Truhen und Kisten aufgestemmt, ihr Inhalt über den Boden verstreut. Zerbrochenes chinesisches Porzellan lag neben den Überresten eines aufgeschlitzten Kissens, auf dem Teppich türmten sich achtlos hingeworfene Hemden und Krawatten, eine karierte Tangohose, Strümpfe, zwei Westen, ein Smoking, ein Panamahut und Manschettenknöpfe, dazwischen gab es Hunderte von Lebensmittelkarten, die wohl aus einem versehentlich aufgerissenen Karton gefallen waren und sich über den ganzen Raum verteilten, dann entstehen Bilder im Kopf. In den Worten eines Regisseurs: „Man kann nicht allgemein betrunken spielen.“ Sondern man muss seine Trunkenheit an einem konkreten Objekt festmachen (Das Beispiel stammt übrigens aus „Inflation!“, einem meiner Krimis aus der Weimarer Republik).

Was ich noch gelernt habe, nämlich während ich über all die Jahre hinweg geholfen habe, Klassiker mit Überlänge auf eine annehmbare Spielzeit zu kürzen, ist, meinen eigenen Texten gegenüber genauso rigoros zu sein. Es kommt nicht selten vor, dass ich während meiner Recherchen wochen-, ja monatelang auf der Jagd nach einem Detail bin und dann bei der dritten oder vierten Überarbeitung meines Textes feststelle, dass dieses Detail den Lesefluss hemmt. Dann fliegt es raus.

Und was habe ich fürs Leben gelernt? Nun, zum Beispiel mich als schüchterner Anfänger in dem Haifischbecken Theater zu behaupten. Auf dem Höhepunkt dieser Lehre habe ich mich mal mit einem Intendanten geprügelt. Okay, das ist etwas dramatisch ausgedrückt. Nicht nur, weil es so besser klingt, sondern vor allem, weil die Konsequenzen für mein Leben dramatisch waren. In Wahrheit handelte es sich um einen kleinen Schlagabtausch, eine Boxbewegung des betrunkenen Intendanten gegen meine Brust, die ich gleicherweise beantwortete. Womit ich mir – für mich damals überraschend und erkenntnisreich – den ewigen Respekt des betreffenden Intendanten verdient hatte.

Viel erlebt habe ich natürlich. Zum Beispiel wurden wir mal zu einem Dramafestival nach Pakistan eingeladen, und ich habe die Reise dorthin organisiert und begleitet. Auf Krücken, weil ich mir kurz zuvor im Theater einen Bänderriss zugezogen hatte, bei einem Sprung von einer Treppe. In Stiefeln, aber weil ich während der Arbeit der Fußlüftung wegen häufig in Badelatschen herumlief, machte selbstverständlich sofort die Anekdote die Runde, ich hätte während des Unfalls Badelatschen getragen. So wird es übrigens noch heute dort kolportiert. Was ich verstehe. Eine gute Geschichte bagatellisiert man nicht durch so etwas Profanes wie Tatsachen.


Was war noch? Ach, zum Beispiel meine Arbeiten als Tourneebegleiter. Der Ausbeutungsfaktor ist auf Tourneen besonders hoch, in einem Fall habe ich fünf oder sechs Jobs zum Preis von anderthalb gemacht, z. B. täglich frische Requisiten besorgt, die Bühne mit aufgebaut, am Abend als Abendregisseur, Inspizient und Tonmeister gearbeitet. Um Geld zu sparen, schlief der Bühnentechniker im Fahrerraum des Lastwagens und ich hinten auf der Ladefläche. In einem Bett, das Teil des Bühnenbildes war. Im Winter.

Das einzige Stück, das ich während meiner vierzehnjährigen Theaterzeit zweimal geholfen habe zu inszenieren, war Shakespeares „Sommernachtstraum“. Beim ersten Mal ein künstlerisches Desaster (Tourneetheater – Insidern sagt das alles). Das andere Mal mit mittelmäßigem Ergebnis. Dabei liebe ich das Stück und kenne seine Nuancen recht gut, zumal ich an einer Neuübersetzung beteiligt war.

Aus diesem Grund habe ich mich dafür entschieden, den „Sommernachtstraum“ als Hintergrund für meinen kommenden Krimi aus der Weimarer Republik zu wählen. Alternativ hatte ich auch über „Faust I“ nachgedacht, ein Stück, das ich ebenfalls gut kenne – die Inszenierung, die ich 1995 als Regieassistent begleitet habe, war sicher der künstlerische Höhepunkt meiner Theaterzeit. Trotzdem habe ich mich am Ende für den „Sommernachtstraum“ entschieden. Er ist nicht nur mit Blick auf den internationalen Markt besser geeignet, sondern reflektiert vor allem entscheidende Konflikte der handelnden Personen und ist daher ein wundervoller Resonanzboden für meine Geschichte.

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Gunnar