Sonntag, 10. August 2014

Das Eigenleben von Romanfiguren



Manches am Schriftstellerdasein ist Magie, egal wie befremdlich so eine Aussage für skeptische Ohren klingen mag. Zum Beispiel, wenn eine Figur sich selbstständig macht. Du schmunzelst? Ich hoffe, nicht aus Unglauben. Denn, so mystisch es sich anhört, es trifft den Kern genau, weil da etwas am Werk ist, das nicht bewusst gestaltet wurde.

Beispielsweise hatte ich nie vor, ein Ermittlertrio in meinen Krimis aus der Weimarer Republik zu etablieren; ich wollte ein Duo, nämlich die Amateurdetektive Hendrik und Diana, weil es mir wichtig war, auf der privaten Ebene eine Geschichte über den unterschätzten Wert der Freundschaft zwischen Mann und Frau zu erzählen. Hendriks Bruder Gregor, der Kommissar, kam lediglich ins Spiel, um begründen zu können, wie Hendrik und Diana an die jeweiligen Fälle kommen.

Damit hat sich Gregor aber nicht zufriedengegeben. Schon bald bekundete er ein amouröses Interesse an Diana, das ich ebenfalls nicht geplant hatte, und aufgrund der Interaktion zwischen den dreien wurde seine Figur immer stärker, bis sie – spätestens seit Band 3 – als gleichberechtigtes Mitglied agierte (wenngleich ich nach wie vor ausschließlich aus Hendriks oder Dianas Perspektive erzähle, was sich allerdings im übernächsten Band ändern wird, weil Gregor dort voraussichtlich eine Hauptrolle spielt).

Ähnliches gilt für Anton, den Arbeiterjungen. Ich hatte ihn ursprünglich erschaffen, um so etwas wie ein Pendant zu Sherlock Holmes‘ Straßenjungen, die gelegentlich in seinem Auftrag jemanden beschatteten, in petto zu haben. Für so etwas habe ich Anton allerdings nie eingesetzt. Stattdessen hat er sich schnell in mein Herz (und das vieler Leser) gespielt und wurde zu einer Art Ersatzsohn für Hendrik.

Wie kann so etwas geschehen, fragst du dich? Ganz einfach: Ich schreibe aus meinen Figuren heraus und denke und fühle während des Schreibprozesses wie sie. Was dazu führt, dass sie oft genug das Ruder übernehmen und mir klarmachen, dass sie die Dinge anders sehen als ich. Ein Eigenleben der Figuren ist das, was geschieht, wenn man als Autor einem Impuls folgt statt der Planung, und der Impuls entsteht, wenn der Autor in Kopf und Herz der Figuren steckt und ihre Gedanken denkt und ihre Gefühle spürt. In so einem Moment bin ich nur noch das Medium, schreiben tun diejenigen, die meinen Roman bevölkern.

Es gibt übrigens noch einen weiteren Aspekt bezüglich der Figuren, der nicht minder mysteriös ist und mich immer wieder ehrfürchtig staunen lässt. In der Planungsphase setzte ich mich intensiv mit den Charakteren auseinander, die ich erschaffen möchte, geben ihnen Träume und Ängste, Stärken und Schwächen, Marotten und eine Vergangenheit, kurz: tue alles, um sie lebendig werden zu lassen. Und doch werden sie für mich erst real – dann aber dafür mit einem Schlag – sobald ich ihnen einen Namen gebe. Plötzlich, von einem Moment zum anderen, kann ich mit ihnen sprechen, plötzlich sind sie aus Fleisch und Blut, plötzlich führen sie ein Eigenleben, als hätten sie mit ihrem Namen eine Seele bekommen. Ist das nicht wahrhaft wundersam?

4 Kommentare:

  1. Ich werde um die Krimis nicht herum kommen. Spätestens mit der Erwähnung der Straßenkinder von Sherlock Holmes MUSS ich die Romane lesen.

    Ich finde auch die Interaktionen der drei Personen schon interessant und muss sie doch auch mal "in Action" erleben. Danke für diesen gelungenen Artikel! ;)

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  2. hallo Gunnar, mir ist schon ähnliches passiert - aber mit einem Haus: fast so, wie ich es mir vorgestellt habe, steht es in Prag. :-)

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    1. Hallo Anni,

      das klingt allerdings wahrhaft magisch!

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Vielen Dank für deinen Kommentar. Sobald ich ihn geprüft habe, schalte ich ihn frei.

Viele Grüße

Gunnar