Sonntag, 17. August 2014

Das Verschwinden der Kurzgeschichte



In meiner Jugend, also in den Siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, waren Kurzgeschichten „in“. In der Science Fiction, die ich damals viel gelesen habe, sowieso, aber auch im Mainstream, dort gern ein bisschen surrealistisch. Manche Kurzgeschichtenbände wurden sogar Bestseller, z.B. Roald Dahls „Küsschen, Küsschen“. Und Romane hatten vielleicht zweihundert Seiten. Vierhundert Seiten galten bereits als extrem umfangreich.

Zu meinem großen Bedauern ist die Zeit der Kurzgeschichte vorbei. Es gibt natürlich Anthologien, die sich über die jeweiligen Themen verkaufen (und denen man häufig genug anmerkt, dass die Geschichten speziell für diese Anthologie „heruntergerissen“ wurden), aber kaum noch Bücher mit Kurzgeschichten eines einzigen Autors oder einer einzigen Autorin, und bestsellerverdächtig sind sie schon gar nicht. Dafür sind Romane mit tausend Seiten nichts Ungewöhnliches mehr.

Klammer auf: In der Rock- und Popmusik ist es umgekehrt, oder? In den Siebzigern waren Musikstücke von zwanzig Minuten Länge keine Seltenheit, und selbst kommerzielle Titel im Radio liefen fünf, sechs Minuten und wurden zumindest hin und wieder ausgespielt, wie z. B. Mr. Blue Sky von ELO (5:04, 1977) oder With a little luck von den Wings (5:44, 1978; immer noch ein tolles Lied, übrigens). Während heutzutage alles genormt und kurz sein muss. Klammer zu.

Was mich daran irritiert, ist, dass es eigentlich dem Zeitgeist widerspricht. Die Aufmerksamkeitsspanne ist gesunken, Videoclipmentalität der Normalfall – da müsste man doch annehmen, dass gerade jetzt die Zeit für Kurzgeschichten und Romane mit geringem Umfang angebrochen ist. Wie ist dieser Widerspruch zu erklären? Hat irgendjemand eine Idee?

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Gunnar