Sonntag, 26. Oktober 2014

E und U


Sind tiefsinnige Gespräche mit einem geliebten Menschen kostbarer als Augenblicke, in denen man gemeinsam lacht? Ist das Hirn wertvoller als das Herz?

Auf diesem Niveau bewegt sich die sinnlose Aufspaltung von Literatur in Kunst und Schund, wertvoll und trivial, kurz: E und U. Auf der einen Seite finden wir den literarischen Adel, der blasiert über die Bedeutung des Wortes „und“ im Werk eines feuilletongepuschten Schriftstellers diskutiert. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die schablonenhaft gefertigte Massenware damit rechtfertigen, dass ein nach statistischen Durchschnittswerten definiertes Zielpublikums es so wolle, und dabei übersehen, dass der kleinste gemeinsame Nenner eben vor allem dies ist: klein.


Wer mit der Überlegenheit der eigenen literarischen Vorlieben argumentiert, erstickt einen fruchtbaren Meinungsaustausch schon im Keim. Notwendige Diskussionen über neu erschienene Werke, über Autoren, ja, über ganze Genres werden nicht zugelassen, indem man diese mit Etiketten versieht („Fluchtliteratur“) und abhakt. Eine Kritik, die sich lediglich an den eigenen Scheuklappen orientiert, nützt jedoch weder dem Autor etwas (es lässt sich nichts daraus lernen) noch dem Publikum (keine konstruktive Hilfestellung bei der Buchauswahl).

Letzten Endes erweist sich die Unterscheidung zwischen ernsthaft und unterhaltend ohnehin als Schimäre. Wenn eine Geschichte uns etwas über das Leben erzählt, ist sie automatisch sowohl das eine wie das andere, weil sie uns fesselt und berührt, vielleicht gar eine Einsicht vermittelt. Um es mit Bill Watterson zu sagen, dem Schöpfer von Calvin und Hobbes: „Die Bedeutung jeder Kunst liegt in ihrer Fähigkeit, Wahrheiten auszusprechen – unsere Welt offenzulegen und uns dabei zu helfen, sie zu verstehen.“

Dies ist die Tradition der Geschichtenerzähler, der Menschen, die einst am Lagerfeuer Märchen und Mythen darboten. Die Funktion dieser Erzähler war, das wird gern vergessen, immer eine doppelte: auf unterhaltsame Weise die Nacht herumzubringen, zugleich aber die Welt zu erklären: Woher kommen wir? Was sind unsere Wurzeln? Wohin gehen wir? Worin liegt der Sinn unseres Daseins? Wie ist unsere Welt beschaffen? Was macht den Menschen aus?

Kunst ist nichts anderes als eine Form von Kommunikation. Gleichgültig, wie kommerziell oder elitär jemand ausgerichtet ist, der Drang, künstlerisch tätig zu sein, lässt sich beschreiben als Ruf nach Gehör für die eigene Wahrheit und den Wunsch auf Antwort, auf Begegnung, auf Dialog mit der Welt. Aus diesem Grund ist auch die leidige Diskussion, ob man das Publikum beim Schaffensprozess ignorieren soll oder im Gegenteil auf es hin schreiben, Unsinn. Entscheidend ist die Ernsthaftigkeit des Autors beim Schreiben, seine Aufrichtigkeit. Je ehrlicher er seine eigene Wahrheit artikuliert, desto wahrscheinlicher, dass ein Publikum etwas damit anfangen kann, weil es sich darin wiedererkennt, weil es seine eigenen Gefühle, Gedanken, Erfahrungen beschrieben und ausgelotet sieht. Das Allgemeingültige auf eine persönliche Weise zu erzählen, darum geht es.

Aus diesem Grund ist es für einen Autor wichtig, an seiner individuellen Stimme festzuhalten und sich den Versuchen zu widersetzen, ihn stromlinienförmig zurechtzubiegen. Gleichzeitig hat er einen Adressaten, den er nicht ignorieren sollte – ein Monolog erstickt jeden Dialog. Das eine wie das andere verlangt Ehrlichkeit, Offenheit und die Bereitschaft zum Meinungsaustausch. Professionelles Schreiben ist, wie alle Künste, ein wechselseitiger Prozess zwischen Künstler und Publikum, eine Liebesaffäre: formen und geformt werden.

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Gunnar