Sonntag, 12. Oktober 2014

Nichts ist jemals sicher


Vor einigen Tagen habe ich wieder in einer Schule gelesen, und worauf ich mich dabei immer am meisten freue, sind die anschließenden Diskussionen. Schüler stellen häufig kluge Fragen und sind, wenn man es geschafft hat, ihr Interesse zu wecken, von einer unbegrenzten Wissbegier.

Auch diesmal wurde ich nicht enttäuscht. So bin ich nach der Erzählperspektive gefragt worden (zu diesem Thema vielleicht ein andermal mehr) und danach, ob ich schon mal am Ende eines Romans festgestellt hätte, dass er nicht funktioniert. Nun, sicher nicht am Ende – wenn ich so blind gegenüber meiner eigenen Arbeit wäre, wäre ich kein professioneller Autor –, aber nach etlichen Wochen Arbeit, ja, das ist mir zweimal so gegangen.


In einer solchen Situation würde ich am liebsten die Augen vor dem Problem verschließen und es ignorieren, weil ich genau weiß, was jetzt für ein Berg an Arbeit auf mich zukommt. Aber ich kann mich nicht selbst belügen, und wenn mein Herz mir sagt, dass ich mich verrannt habe, dann tue ich gut daran, darauf zu hören. Alles wegzuwerfen und noch einmal von vorn anzufangen, beim Konzept. Herauszufinden, woran es liegt, dass die Geschichte nicht stimmt: Am Plot? An den Figuren? An der Atmosphäre? Am Schauplatz? An der Erzählperspektive? Am Genre?

Wie gesagt, zweimal ist mir das so gegangen (die betreffenden Werke sind beide noch unveröffentlicht), und bei einem der Romane war es sogar so schlimm, dass ich drei oder vier Anläufe brauchte, bis ich endlich den richtigen Dreh gefunden hatte. Es gibt kaum etwas, das frustrierender ist. Nichts ist jemals sicher, wenn man schreibt.

Interessanterweise erweisen sich häufig die Dinge, bei denen man vorab mit den größten Schwierigkeiten rechnet, als am einfachsten. Wie oft schon habe ich während des Konzeptes gedacht, diese oder jene Figur, dieser oder jener Erzählstrang, dieses oder jenes Kapitel würde mir schwerer fallen als andere, nur um dann festzustellen, dass sie, weil ich besonderes Augenmerk darauf richte, besser, reicher, vielschichtiger werden als andere. Während die Dinge, die ich als Heimspiel betrachte, sich manchmal als sperrig erweisen.

Zum Beispiel der Krimi, an dem ich gerade schreibe. Er spielt im Theatermilieu, und da ich vierzehn Jahre am Theater gearbeitet habe, bin ich davon ausgegangen, dass mir der Hintergrund keine Schwierigkeiten bereitet. Doch gerade mein Wissen um die Abläufe im Theater steht mir ständig im Weg, weil ich Dinge voraussetze, von denen ich erst mal überprüfen muss, ob es sie damals überhaupt schon gab.

Oder meine Märchenbearbeitungen. Es gibt Märchen, unbekannte oder komplexe wie „Sechse kommen durch die ganze Welt“ oder „Die Rätselprinzessin“, bei denen ich mir der Schwierigkeiten der Interpretation fürs Theater von vornherein bewusst bin. Andere, die ich in- und auswendig kenne und bei denen ich hundertprozentig weiß, worum es eigentlich geht, scheinen einfach zu bearbeiten zu sein und stellen sich dann unerwartet als schwierig heraus.

„Hänsel und Gretel“ war so ein Fall. Ich schrieb munter drauflos, bis mir plötzlich klar wurde: Wie kann diese Geschichte von Reifeprozessen erzählen, wenn der Schluss darin besteht, dass die Kinder ins Elternhaus zurückkehren statt wie sonst im Märchen üblich eine Braut oder einen Bräutigam zu finden? Ich musste mir erst darüber klar werden, dass es eben nicht, wie viele Interpreten uns glauben machen wollen, um Regression geht, sondern dass die beiden Kinder sich sehr wohl entwickeln, auf eine andere, subtilere Weise, ehe ich den richtigen Ansatz hatte.

In der Fantasytrilogie, an der ich die letzten beiden Jahre gearbeitet und die ich im Augenblick zurückgestellt habe, das Werk, von dem ich (wie an dieser Stelle schon mal erwähnt) glaube, dass es etwas Großes werden könnte, nahm ich an, dass mir bestimmte Figuren besonders leicht fallen würden, weil sie mir am nächsten sind, während ich Schwierigkeiten hatte, mich in andere Figuren hineinzuversetzen. Gerade weil es jedoch größerer Anstrengung bedurfte, verstehe ich diese Figuren jetzt umso besser, sie sind mir ans Herz gewachsen. Und ich stelle mit einem Mal fest, dass sie die ergreifendsten Szenen bekommen haben.

So ist es eben, wenn man schreibt: Nichts ist jemals sicher. Jeder Tag ist eine Entdeckungsreise. Das ist das Tolle an diesem Beruf.

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Gunnar