Vor einigen Tagen habe ich wieder
in einer Schule gelesen, und worauf ich mich dabei immer am meisten freue, sind
die anschließenden Diskussionen. Schüler stellen häufig kluge Fragen und sind,
wenn man es geschafft hat, ihr Interesse zu wecken, von einer unbegrenzten
Wissbegier.
Auch diesmal wurde ich nicht
enttäuscht. So bin ich nach der Erzählperspektive gefragt worden (zu diesem
Thema vielleicht ein andermal mehr) und danach, ob ich schon mal am Ende eines
Romans festgestellt hätte, dass er nicht funktioniert. Nun, sicher nicht am Ende
– wenn ich so blind gegenüber meiner eigenen Arbeit wäre, wäre ich kein
professioneller Autor –, aber nach etlichen Wochen Arbeit, ja, das ist mir
zweimal so gegangen.
In einer solchen Situation würde
ich am liebsten die Augen vor dem Problem verschließen und es ignorieren, weil
ich genau weiß, was jetzt für ein Berg an Arbeit auf mich zukommt. Aber ich
kann mich nicht selbst belügen, und wenn mein Herz mir sagt, dass ich mich verrannt
habe, dann tue ich gut daran, darauf zu hören. Alles wegzuwerfen und noch
einmal von vorn anzufangen, beim Konzept. Herauszufinden, woran es liegt, dass
die Geschichte nicht stimmt: Am Plot? An den Figuren? An der Atmosphäre? Am Schauplatz?
An der Erzählperspektive? Am Genre?
Wie gesagt, zweimal ist mir das
so gegangen (die betreffenden Werke sind beide noch unveröffentlicht), und bei
einem der Romane war es sogar so schlimm, dass ich drei oder vier Anläufe
brauchte, bis ich endlich den richtigen Dreh gefunden hatte. Es gibt kaum etwas,
das frustrierender ist. Nichts ist jemals sicher, wenn man schreibt.
Interessanterweise erweisen sich
häufig die Dinge, bei denen man vorab mit den größten Schwierigkeiten rechnet,
als am einfachsten. Wie oft schon habe ich während des Konzeptes gedacht, diese
oder jene Figur, dieser oder jener Erzählstrang, dieses oder jenes Kapitel
würde mir schwerer fallen als andere, nur um dann festzustellen, dass sie, weil
ich besonderes Augenmerk darauf richte, besser, reicher, vielschichtiger werden
als andere. Während die Dinge, die ich als Heimspiel betrachte, sich manchmal
als sperrig erweisen.
Zum Beispiel der Krimi, an dem
ich gerade schreibe. Er spielt im Theatermilieu, und da ich vierzehn Jahre am
Theater gearbeitet habe, bin ich davon ausgegangen, dass mir der Hintergrund
keine Schwierigkeiten bereitet. Doch gerade mein Wissen um die Abläufe im
Theater steht mir ständig im Weg, weil ich Dinge voraussetze, von denen ich
erst mal überprüfen muss, ob es sie damals überhaupt schon gab.
Oder meine Märchenbearbeitungen.
Es gibt Märchen, unbekannte oder komplexe wie „Sechse kommen durch die ganze
Welt“ oder „Die Rätselprinzessin“, bei denen ich mir der Schwierigkeiten der
Interpretation fürs Theater von vornherein bewusst bin. Andere, die ich in- und
auswendig kenne und bei denen ich hundertprozentig weiß, worum es eigentlich
geht, scheinen einfach zu bearbeiten zu sein und stellen sich dann unerwartet
als schwierig heraus.
„Hänsel und Gretel“ war so ein Fall.
Ich schrieb munter drauflos, bis mir plötzlich klar wurde: Wie kann diese
Geschichte von Reifeprozessen erzählen, wenn der Schluss darin besteht, dass
die Kinder ins Elternhaus zurückkehren statt wie sonst im Märchen üblich eine
Braut oder einen Bräutigam zu finden? Ich musste mir erst darüber klar werden,
dass es eben nicht, wie viele Interpreten uns glauben machen wollen, um
Regression geht, sondern dass die beiden Kinder sich sehr wohl entwickeln, auf
eine andere, subtilere Weise, ehe ich den richtigen Ansatz hatte.
In der Fantasytrilogie, an der
ich die letzten beiden Jahre gearbeitet und die ich im Augenblick
zurückgestellt habe, das Werk, von dem ich (wie an dieser Stelle schon mal
erwähnt) glaube, dass es etwas Großes werden könnte, nahm ich an, dass mir
bestimmte Figuren besonders leicht fallen würden, weil sie mir am nächsten
sind, während ich Schwierigkeiten hatte, mich in andere Figuren
hineinzuversetzen. Gerade weil es jedoch größerer Anstrengung bedurfte,
verstehe ich diese Figuren jetzt umso besser, sie sind mir ans Herz gewachsen.
Und ich stelle mit einem Mal fest, dass sie die ergreifendsten Szenen bekommen
haben.
So ist es eben, wenn man
schreibt: Nichts ist jemals sicher. Jeder Tag ist eine Entdeckungsreise. Das
ist das Tolle an diesem Beruf.
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Gunnar