Sonntag, 16. November 2014

Entlang der Lichtergrenze


Zugegeben: Ich bin kein Freund von Massenveranstaltungen. Aber ich liebe die Magie von Licht, und die Idee, zum fünfundzwanzigsten Jahrestag des Mauerfalls eine Lichtinstallation am ehemaligen Mauerverlauf entlang umzusetzen, fand ich originell. Deshalb bin ich vergangenes Wochenende mit Fahrrad und Kamera losgezogen, um mich von der Atmosphäre dieser Inszenierung einfangen zu lassen.  



In Kreuzberg, am Bethaniendamm, fing ich an. Zu meiner Überraschung war die Abfolge der Lichterkugeln dichter als erwartet. Ich war davon ausgegangen, vielleicht alle fünf Meter eine solche vorzufinden, aber nein: Sie standen dicht an dicht. Was für ein Aufwand! Aber auch: Was für eine Wirkung!
Schon jetzt, gegen 18:00 Uhr, waren zahlreiche Menschen unterwegs, die gleich mir von ihrer Neugier herausgelockt wurden. Ich folgte der Lichterkette Richtung Osten über die Schillingbrücke zum ersten Höhepunkt, dem Verlauf an der East-Side-Gallery. Mein Lieblingsbild, der Trabbi, der durch die Mauer bricht, war immer noch da, wenn auch von Kulturbanausen beschmiert.
Weiter zur Oberbaumbrücke, die durch die Verbindung von Licht, Brücke und Wasser zu einem weiteren Höhepunkt wurde.  

Bei der Gelegenheit hier noch ein Foto von der Oberbaumbrücke kurz nach dem Mauerfall. Ich sitze auf einem der Türme, die damals baufällig und nur noch halb erhalten waren. (Und ich möchte keine Kommentare darüber hören, wie jung ich auf dem Foto aussehe)

Dass dort das Ende der Installation erreicht war, wusste ich zu dem Zeitpunkt nicht, deshalb suchte ich verzweifelt nach einer Fortsetzung gen Osten. Es gibt ein paar schöne Ecken im Grenzverlauf zwischen Neukölln und Treptow, da hätte ich mir gern die Lichter angesehen. Aber weit und breit nichts.
Unverrichteter Dinge fuhr ich wieder zurück und beschloss, meine Fahrt in die andere Richtung bis zum Checkpoint Charlie fortzusetzen. Nach dem Bethaniendamm kam ein weiterer Glanzpunkt: das Engelbecken und die Parkanlage am Leuschnerdamm. Ein Geheimtipp für Schaulustige, zumal sich hier deutlich weniger Menschen drängelten als an den bekannten historischen Stätten.
Es folgten einige verwinkelte Ecken, an die ich mich gut erinnere, weil ich damals, 1987, als ich nach Berlin kam, einige Fotos von diesem Teil der Mauer gemacht hatte, wegen der unmittelbaren Nähe zu Wohnhäusern und der beklemmenden und gleichzeitig alltäglich-normalen Atmosphäre.

Der Checkpoint Charlie war seltsamerweise weniger überlaufen, als ich annahm. Allerdings auch weniger interessant. Daher beendete ich nach drei Stunden meine erste Exkursion. Und fand zu Hause übers Internet heraus, dass die Installation nicht die komplette Mauer nachzeichnete, sondern „nur“ fünfzehn Kilometer davon, zwischen Oberbaumbrücke und Bornholmer Straße.
Daher entschied ich mich am Samstag, mir auch den Rest des Verlaufs anzugucken. Ich begann also beim Checkpoint Charlie und arbeitete mich von dort nach Norden vor. Der Potsdamer Platz ist natürlich immer sehenswert, aber was für ein Gewühl! Busse, die kaum vorankamen, die Radwege mit Fußgängern überfüllt. Und natürlich wurde es immer schlimmer, je näher man dem Brandenburger Tor kam. Dort ging es dann im Schneckentempo voran, eingekeilt zwischen anderen Neugierigen. Aber die Stimmung war gut, keiner maulte.
Das Brandenburger Tor selbst war teilweise verhängt – enttäuschend. Dafür entschädigte das Regierungsviertel allemal. Wie sich die Lichter diesseits und jenseits des Spreebogens hin- und herwanden, über Brücken und zwischen den Gebäuden hindurch, das war sehenswert.
Danach wurde es eher unspektakulär. Hier und da noch ein Stück Mauer, die Gedenkstätte an der Bernauer Straße und schließlich durch den Mauerpark bis zum nördlichen Endpunkt, der Brücke an der Bornholmer Straße. Von hier aus machte ich mich dann nach erneuten drei Stunden Sightseeing auf den Nachhauseweg, im wahrsten Sinne des Wortes „ab durch die Mitte“.
Am Sonntag stand um 19:00 Uhr die Ballonaktion auf dem Programm: die Lichterkugeln (ohne Lichter) sollten gen Himmel aufsteigen. Ursprünglich hatte ich nicht vorgehabt, mir diese Aktion anzusehen, aber weil ich von der Installation so angetan war, beschloss ich dann doch, auch an diesem Abschluss teilzunehmen.
Nur wo? Die Qual der Wahl ... Von Anfang an stand für mich fest, dass ich mich nicht ins Gewühl am Brandenburger Tor oder zum Checkpoint Charlie begeben würde. Das Engelbecken war eine verführerische Option, zumal ich damit rechnete, dort weniger Menschen vorzufinden. Auch die East-Side-Gallery zog ich in Betracht. Am Ende entschied ich mich aber doch fürs Regierungsviertel, weil die sich hin- und herwindende Reihe der Lichter einfach spektakuläre Fotos erlaubten.
Natürlich war der Andrang groß. Ich stellte mein Fahrrad ab und stürzte mich zu Fuß in die Menge. Zentimeter um Zentimeter schob ich mich zum Ufer am Marie-Elisabeth-Lüders-Haus durch, wo ich hoffte, einen einigermaßen guten Platz zum Fotografieren zu erwischen. Just als ich das Ende der Brücke und den Beginn des Ufers erreichte, wurde direkt vor meiner Nase eine Polizeikette geschlossen: Kein Durchgang mehr.
Ich wich zurück und arbeitete mich Richtung Hauptbahnhof vor, aber überall war abgesperrt und auf die Brücken wurde niemand mehr gelassen, auch nicht auf den Steg zwischen dem Marie-Elisabeth-Lüders-Haus und dem Paul-Löbe-Haus. Selbst im Gang innerhalb der Gebäude, der über die Spree führte, drückten sich die Politiker auf ihren Logenplätzen die Nase platt. Und dann kamen auch noch Schiffe mit Schaulustigen an ...
Als ich schon nahe daran war aufzugeben, stellte ich plötzlich fest, dass man von der Nordseite durchaus noch Zugang zum Ufer bekam, ja, ich ergatterte sogar einen Platz auf der Treppe, sodass ich eine einigermaßen gute Sicht hatte.
Um es kurz zu machen: Der Aufstieg der Ballons war nett, aber nicht überwältigend, weil immer nur eine Handvoll zugleich freigelassen wurde. Wären alle gleichzeitig aufgestiegen oder zumindest einer nach dem anderen in einer fließenden Bewegung, wie es wohl an anderen Stellen der Lichterkette der Fall war, wäre es aufregender gewesen.
Trotzdem: Ein gelungenes Wochenende, das mich ein bisschen damit versöhnte, dass ich in diesen Tagen nicht, wie ursprünglich geplant, in Schottland sein konnte.

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Gunnar