Sonntag, 7. Dezember 2014

Der Teufel in Erfurt


Weihnachtlich wird es für mich immer dann, wenn ich mir irgendwo die Inszenierung einer meiner Märchenbearbeitungen ansehen kann und die Reaktionen der zuschauenden Kinder zu Herzen gehen lasse. Dieses Jahr stand mein „Teufel mit den drei goldenenHaaren“ im Theater Erfurt auf dem Programm. Gestern war ich dort, zur Nachmittagsveranstaltung.
 
Nachmittagsvorstellungen sind natürlich nicht dasselbe wie Vormittagsvorstellungen. Vormittags toben Schulklassen durch den Zuschauerraum und reagieren ungeschminkt auf das, was sie da geboten bekommen, nachmittags im Beisein von Eltern und Großeltern und überhaupt überproportional vielen Erwachsenen geht es gesitteter zu. Aber um von Berlin aus zu einer einigermaßen menschlichen Zeit starten zu können, blieb mir nichts anderes übrig, als die Nachmittagsvorstellung zu wählen.

Die Inszenierung hat mir gefallen, wenn es auch für meinen Geschmack ein bisschen viel Slapstick und übertrieben ausgestellte Gefühle gab, da ich seit jeher der Ansicht bin, ein Märchen sollte nicht anders inszeniert und gespielt werden als ein Goethe oder Shakespeare. Nichtsdestotrotz sind allein die Spielfreude der Schauspieler und die Konzentration auf den Kern der Geschichte sehenswert.

Fast immer, wenn ich mir eine Inszenierung eines meiner Stücke ansehe, werde ich überrascht, denn natürlich habe ich mir in der Regel alles anders vorgestellt. Aber das ist gerade das Interessante, eigene Stücke von anderen umgesetzt zu sehen: Es erweitert den eigenen Blickwinkel. Ich lerne immer etwas dabei, was mir nicht zuletzt für künftige Stücke zugute kommt.

Hier waren es die geradezu expressionistisch zu nennenden Kostüme und Masken und die wegen beschränkter Bühnenbedingungen umgesetzten Veränderungen, die mich interessierten, etwa die Wächter der Stadt, die aus Versenkungen kamen und chorisch agierten, oder wie mit einfachsten Mitteln hinter einem Gazevorhang glaubhaft ein Fährmann mit seiner Fähre dargestellt wurde. Auch die hinzuerfundenen Helfer des Teufels waren eine Bereicherung.

Nach der Vorstellung mische ich mich immer unters Publikum in der Hoffnung, Kommentare der Kinder aufzuschnappen, doch leider gelingt das so gut wie nie. Dazu ist es einfach zu laut, und bedauerlicherweise wird heutzutage auch das Nacherleben nicht mehr gefördert. Im Gegenteil: Sobald die Zuschauer draußen sind, werden Handys und Einkaufslisten gezückt, Verabredungen getroffen, und dann geht’s noch schnell übern Weihnachtsmarkt. Und die Erwachsenen sind sowieso mit ihren Gedanken woanders. Ich hoffe immer, dass das Theatererlebnis noch länger nachwirkt und vielleicht abends, wenn die Kinder zur Ruhe kommen, verarbeitet wird.


Auch sonst ist bei mir viel geschehen in letzter Zeit. Zum einen war ich oft auf Lesereise, der Herbst ist nun mal die Hauptsaison für Lesungen. Unter anderem war ich im Albert-Sammt-Zeppelin-Museum in Niederstetten, in Jena und Umgebung habe ich in Schulen gelesen und in Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen für Erwachsene. Auch in Berlin hatte ich Veranstaltungen, unter anderem im Hotel Kempinski, was mit seinen fünfundfünfzig höchst aufgeweckten Zuhörern ein besonderes Vergnügen darstellte.

Zum anderen fand ich, als ich vor ein paar Tagen von einer dieser Lesereisen zurückkam, einen Brief vor, der mir mitteilte, dass ich als Stipendiat für „Tatort Töwerland“ ausgewählt wurde und daher 2015 zwei Wochen kostenfrei auf Juist verbringen darf, worauf ich mich natürlich freue. Und zwar „wie Bolle“, wie man in Berlin sagt.

4 Kommentare:

  1. nur mal so ein kleiner kommentar. zu unserer zeit, lieber gunnar, begann weihnachten nicht schon im oktober. es war die riesige vorfreude auf ein paar schöne tage, die uns kinder damals berührte. man musste ein nacherleben nicht fördern. es gab kein internet, es war ein highlight (höhepunkt) wenn man als kind ins theater gehen konnte. darum freue ich mich so sehr, dass du es trotz anderer zeiten, anderer werte und anderer lebensumstände schaffst, den kindern wieder ein gefühl des besonderen zu vermitteln. susi

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    1. Hallo Susi!

      Stimmt, das war damals etwas Besonderes. Ins Theater zu gehen erst recht. Danke für deine Zeilen.

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  2. Lieber Herr Kunz,

    unser Sohn (9) war mit der Schulklasse in Ihrem Stück und berichtete am Abend sehr eindrücklich davon!! Allerdings werden Erzählen, Lesen, Staunen und Geschichtenausdenken bei uns zuhause auch täglich gelebt.
    In den Schulen wird meines Wissens oft nachbereitet, zumindest wird der Theaterbesuch meist noch einmal aufgegriffen. Wir lesen die Märchen vorher zuhause, andere kennen sie vom Fernsehen. Für wieder andere ist der Theaterbesuch offenkundig ihre erste Berührung mit der jeweiligen Geschichte. Wie auch immer, der Theaterbesuch wird lange angekündigt, die Kinder freuen sich darauf, es ist auch heute noch etwas Besonderes, wenn man im Theaterraum sitzt und der Vorhang aufgeht. Es ist ein anderes Erleben als schnelle Videoschnitte und Dolby-Surround-Kino - und das prägt sich ganz bestimmt jedem ein, auf die eine oder andere Weise.
    Ihnen eine angenehme, märchenhafte Advents- und Weihnachtszeit und herzliche Grüße aus Erfurt, aus einer Abteilung Ihres Sutton Verlages!
    Antje Beyer

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    1. Vielen herzlichen Dank für Ihren Kommentar; es tut gut zu hören, dass Märchen in manchen Familien noch eine Rolle spielen und Erlebnisse wie so ein Theaterbesuch nicht in der Hektik des Alltags verpuffen. Mir haben Märchen in meiner Kindheit immer viel bedeutet, und ich wünsche mir sehr, Kindern dieses Gefühl weiterzugeben.
      Auch Ihnen eine frohe und besinnliche Vorweihnachtszeit, und viele Grüße nach Erfurt.

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Vielen Dank für deinen Kommentar. Sobald ich ihn geprüft habe, schalte ich ihn frei.

Viele Grüße

Gunnar