Weihnachtlich wird es für mich
immer dann, wenn ich mir irgendwo die Inszenierung einer meiner
Märchenbearbeitungen ansehen kann und die Reaktionen der zuschauenden Kinder zu
Herzen gehen lasse. Dieses Jahr stand mein „Teufel mit den drei goldenenHaaren“ im Theater Erfurt auf
dem Programm. Gestern war ich dort, zur Nachmittagsveranstaltung.
Nachmittagsvorstellungen sind
natürlich nicht dasselbe wie Vormittagsvorstellungen. Vormittags toben
Schulklassen durch den Zuschauerraum und reagieren ungeschminkt auf das, was
sie da geboten bekommen, nachmittags im Beisein von Eltern und Großeltern und
überhaupt überproportional vielen Erwachsenen geht es gesitteter zu. Aber um
von Berlin aus zu einer einigermaßen menschlichen Zeit starten zu können, blieb
mir nichts anderes übrig, als die Nachmittagsvorstellung zu wählen.
Die Inszenierung hat mir
gefallen, wenn es auch für meinen Geschmack ein bisschen viel Slapstick und
übertrieben ausgestellte Gefühle gab, da ich seit jeher der Ansicht bin, ein
Märchen sollte nicht anders inszeniert und gespielt werden als ein Goethe oder
Shakespeare. Nichtsdestotrotz sind allein die Spielfreude der Schauspieler und
die Konzentration auf den Kern der Geschichte sehenswert.
Fast immer, wenn ich mir eine
Inszenierung eines meiner Stücke ansehe, werde ich überrascht, denn natürlich
habe ich mir in der Regel alles anders vorgestellt. Aber das ist gerade das
Interessante, eigene Stücke von anderen umgesetzt zu sehen: Es erweitert den eigenen
Blickwinkel. Ich lerne immer etwas dabei, was mir nicht zuletzt für künftige
Stücke zugute kommt.
Hier waren es die geradezu
expressionistisch zu nennenden Kostüme und Masken und die wegen beschränkter
Bühnenbedingungen umgesetzten Veränderungen, die mich interessierten, etwa die
Wächter der Stadt, die aus Versenkungen kamen und chorisch agierten, oder wie
mit einfachsten Mitteln hinter einem Gazevorhang glaubhaft ein Fährmann mit
seiner Fähre dargestellt wurde. Auch die hinzuerfundenen Helfer des Teufels
waren eine Bereicherung.
Nach der Vorstellung mische ich
mich immer unters Publikum in der Hoffnung, Kommentare der Kinder
aufzuschnappen, doch leider gelingt das so gut wie nie. Dazu ist es einfach zu
laut, und bedauerlicherweise wird heutzutage auch das Nacherleben nicht mehr
gefördert. Im Gegenteil: Sobald die Zuschauer draußen sind, werden Handys und
Einkaufslisten gezückt, Verabredungen getroffen, und dann geht’s noch schnell
übern Weihnachtsmarkt. Und die Erwachsenen sind sowieso mit ihren Gedanken
woanders. Ich hoffe immer, dass das Theatererlebnis noch länger nachwirkt und
vielleicht abends, wenn die Kinder zur Ruhe kommen, verarbeitet wird.
Auch sonst ist bei mir viel
geschehen in letzter Zeit. Zum einen war ich oft auf Lesereise, der Herbst ist
nun mal die Hauptsaison für Lesungen. Unter anderem war ich im
Albert-Sammt-Zeppelin-Museum in Niederstetten, in Jena und Umgebung habe ich in
Schulen gelesen und in Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen für Erwachsene.
Auch in Berlin hatte ich Veranstaltungen, unter anderem im Hotel Kempinski, was
mit seinen fünfundfünfzig höchst aufgeweckten Zuhörern ein besonderes Vergnügen
darstellte.
Zum anderen fand ich, als ich vor
ein paar Tagen von einer dieser Lesereisen zurückkam, einen Brief vor, der mir
mitteilte, dass ich als Stipendiat für „Tatort Töwerland“ ausgewählt wurde und daher 2015 zwei Wochen kostenfrei auf
Juist verbringen darf, worauf ich mich natürlich freue. Und zwar „wie Bolle“,
wie man in Berlin sagt.
nur mal so ein kleiner kommentar. zu unserer zeit, lieber gunnar, begann weihnachten nicht schon im oktober. es war die riesige vorfreude auf ein paar schöne tage, die uns kinder damals berührte. man musste ein nacherleben nicht fördern. es gab kein internet, es war ein highlight (höhepunkt) wenn man als kind ins theater gehen konnte. darum freue ich mich so sehr, dass du es trotz anderer zeiten, anderer werte und anderer lebensumstände schaffst, den kindern wieder ein gefühl des besonderen zu vermitteln. susi
AntwortenLöschenHallo Susi!
LöschenStimmt, das war damals etwas Besonderes. Ins Theater zu gehen erst recht. Danke für deine Zeilen.
Lieber Herr Kunz,
AntwortenLöschenunser Sohn (9) war mit der Schulklasse in Ihrem Stück und berichtete am Abend sehr eindrücklich davon!! Allerdings werden Erzählen, Lesen, Staunen und Geschichtenausdenken bei uns zuhause auch täglich gelebt.
In den Schulen wird meines Wissens oft nachbereitet, zumindest wird der Theaterbesuch meist noch einmal aufgegriffen. Wir lesen die Märchen vorher zuhause, andere kennen sie vom Fernsehen. Für wieder andere ist der Theaterbesuch offenkundig ihre erste Berührung mit der jeweiligen Geschichte. Wie auch immer, der Theaterbesuch wird lange angekündigt, die Kinder freuen sich darauf, es ist auch heute noch etwas Besonderes, wenn man im Theaterraum sitzt und der Vorhang aufgeht. Es ist ein anderes Erleben als schnelle Videoschnitte und Dolby-Surround-Kino - und das prägt sich ganz bestimmt jedem ein, auf die eine oder andere Weise.
Ihnen eine angenehme, märchenhafte Advents- und Weihnachtszeit und herzliche Grüße aus Erfurt, aus einer Abteilung Ihres Sutton Verlages!
Antje Beyer
Vielen herzlichen Dank für Ihren Kommentar; es tut gut zu hören, dass Märchen in manchen Familien noch eine Rolle spielen und Erlebnisse wie so ein Theaterbesuch nicht in der Hektik des Alltags verpuffen. Mir haben Märchen in meiner Kindheit immer viel bedeutet, und ich wünsche mir sehr, Kindern dieses Gefühl weiterzugeben.
LöschenAuch Ihnen eine frohe und besinnliche Vorweihnachtszeit, und viele Grüße nach Erfurt.