Sonntag, 7. September 2014

Ich schreibe in Schichten



Wenn ich den Äußerungen von Kollegen glauben darf, ist meine Art zu schreiben eher ungewöhnlich. Ich schreibe nämlich in Schichten. Das bedeutet nichts anderes, als dass ich mich, während ich die erste Fassung eines Romans erarbeite, an keiner Schwierigkeit lange aufhalte, sondern die betreffende Stelle offen lasse und Platzhalter einfüge: drei Punkte, eine Leerzeile, eine kurze Anmerkung in Klammern, damit ich mich beim Überarbeiten daran erinnere, worauf ich hinaus wollte.


Das kann die unterschiedlichsten Gründe haben: Manchmal ist es nur ein bestimmtes Wort, das mir partout nicht einfallen will und das ich auch beim Blick in meinen Duden der sinn- und sachverwandten Wörter nicht finden kann, von dem ich aber sicher weiß, dass es das gibt. Manchmal ist es mehr: die Beschreibung eines neuen Handlungsortes, mit der ich mich in dieser Phase nicht aufhalten möchte, die Anspielung auf eine historische Begebenheit oder ein tagesaktuelles Ereignis, die ich erst recherchieren müsste, ein Verhör, bei dem mir noch nicht alle Fragen klar sind, die gestellt werden sollten. Vielleicht schreibe ich auch gerade ein Gespräch zwischen zwei Personen, bei dem ich zwar weiß, was verhandelt werden soll, nicht jedoch, wo und wann es stattfindet. Dann schreibe ich schon mal die Dialoge in dem Wissen, dass ich sie bei der nächsten Überarbeitung, wenn ich mich für Ort und Zeit entschieden habe, anpassen muss, weil diese Dinge natürlich einen Einfluss auf den Gesprächsverlauf haben.

Warum ich das mache? Aus zwei, wie ich glaube, gewichtigen Gründen. Zum einen ist, meiner Meinung nach, für die Erstfassung eines Romans entscheidend, dass die Geschichte fließt, ohne zu stocken, dass ich mich von meinen Figuren und der Stimmung leiten lasse. Daher versuche ich, alles, was aufhält, auf später zu verschieben. Ich glaube, dass dieser Fluss beim Lesen zu spüren ist und den Unterschied zwischen einer Geschichte ausmacht, die man nicht mehr aus der Hand legen möchte, und einer, bei der man ständig ausgebremst wird.

Der zweite Grund hängt mit meiner Theatervergangenheit zusammen. Am Theater gibt es den Begriff „Rückfluss“. Das Wort beschreibt die Situation, wenn ein Schauspieler, der Szene 7 probt, dabei plötzlich eine Facette an seiner Figur entdeckt, die Auswirkungen darauf hat, wie er diese Figur sieht und wie er folglich auf der nächsten Probe Szene 1 gestaltet. Der Rückfluss ist etwas, das eine Figur unendlich bereichert, und ich habe gelernt, dass es auch einen Roman bereichert, wenn man eine Erkenntnis, die man in einem späteren Kapitel gewinnt, in ein früheres Kapitel einfließen lässt oder spätere Geschehnisse durch Andeutungen vorbereitet. Das bedeutet allerdings auch, dass die Erstfassung eines Kapitels zunächst einmal provisorischen Charakter hat, so lange ich den Rückfluss noch nicht eingearbeitet habe. Was nicht weiter schlimm ist, denn ich habe ohnehin festgestellt: Je komplexer eine Geschichte, desto unmöglicher ist es, gleich beim ersten Durchlauf (wieder so ein Theaterausdruck!) jeden Aspekt zu berücksichtigen.

Meine Erstfassung eines Buches gleicht also einem Flickenteppich und ist daher auch nicht geeignet, von Fremden gelesen zu werden, weil kein anderer darin sehen kann, was ich bereits darin sehe, wie nur ein Maler selbst in seiner Skizze schon das fertige Bild erkennt. Aus diesem Grund verlässt kein Text vor der dritten Fassung meine Wohnung. Die dritte gebe ich in der Regel Kollegen zu lesen, von deren Meinung ich etwas halte, und arbeite dann diejenigen ihrer Anregungen, die mich überzeugen, in die weiteren Fassungen ein. Frühestens die fünfte Fassung bekommt ein Literaturagent oder eine Lektorin zu Gesicht, zu diesem Zeitpunkt haben meine Texte im Grunde genommen bereits ein professionelles Lektorat durchlaufen.

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Gunnar