Wenn ich den Äußerungen von
Kollegen glauben darf, ist meine Art zu schreiben eher ungewöhnlich. Ich
schreibe nämlich in Schichten. Das bedeutet nichts anderes, als dass ich mich,
während ich die erste Fassung eines Romans erarbeite, an keiner Schwierigkeit
lange aufhalte, sondern die betreffende Stelle offen lasse und Platzhalter
einfüge: drei Punkte, eine Leerzeile, eine kurze Anmerkung in Klammern, damit
ich mich beim Überarbeiten daran erinnere, worauf ich hinaus wollte.
Das kann die unterschiedlichsten
Gründe haben: Manchmal ist es nur ein bestimmtes Wort, das mir partout nicht
einfallen will und das ich auch beim Blick in meinen Duden der sinn- und
sachverwandten Wörter nicht finden kann, von dem ich aber sicher weiß, dass es
das gibt. Manchmal ist es mehr: die Beschreibung eines neuen Handlungsortes,
mit der ich mich in dieser Phase nicht aufhalten möchte, die Anspielung auf
eine historische Begebenheit oder ein tagesaktuelles Ereignis, die ich erst
recherchieren müsste, ein Verhör, bei dem mir noch nicht alle Fragen klar sind,
die gestellt werden sollten. Vielleicht schreibe ich auch gerade ein Gespräch
zwischen zwei Personen, bei dem ich zwar weiß, was verhandelt werden soll,
nicht jedoch, wo und wann es stattfindet. Dann schreibe ich schon mal die
Dialoge in dem Wissen, dass ich sie bei der nächsten Überarbeitung, wenn ich
mich für Ort und Zeit entschieden habe, anpassen muss, weil diese Dinge
natürlich einen Einfluss auf den Gesprächsverlauf haben.
Warum ich das mache? Aus zwei,
wie ich glaube, gewichtigen Gründen. Zum einen ist, meiner Meinung nach, für
die Erstfassung eines Romans entscheidend, dass die Geschichte fließt, ohne zu
stocken, dass ich mich von meinen Figuren und der Stimmung leiten lasse. Daher
versuche ich, alles, was aufhält, auf später zu verschieben. Ich glaube, dass
dieser Fluss beim Lesen zu spüren ist und den Unterschied zwischen einer Geschichte
ausmacht, die man nicht mehr aus der Hand legen möchte, und einer, bei der man
ständig ausgebremst wird.
Der zweite Grund hängt mit meiner
Theatervergangenheit zusammen. Am Theater gibt es den Begriff „Rückfluss“. Das
Wort beschreibt die Situation, wenn ein Schauspieler, der Szene 7 probt, dabei
plötzlich eine Facette an seiner Figur entdeckt, die Auswirkungen darauf hat,
wie er diese Figur sieht und wie er folglich auf der nächsten Probe Szene 1
gestaltet. Der Rückfluss ist etwas, das eine Figur unendlich bereichert, und
ich habe gelernt, dass es auch einen Roman bereichert, wenn man eine
Erkenntnis, die man in einem späteren Kapitel gewinnt, in ein früheres Kapitel
einfließen lässt oder spätere Geschehnisse durch Andeutungen vorbereitet. Das
bedeutet allerdings auch, dass die Erstfassung eines Kapitels zunächst einmal
provisorischen Charakter hat, so lange ich den Rückfluss noch nicht
eingearbeitet habe. Was nicht weiter schlimm ist, denn ich habe ohnehin festgestellt:
Je komplexer eine Geschichte, desto unmöglicher ist es, gleich beim ersten
Durchlauf (wieder so ein Theaterausdruck!) jeden Aspekt zu berücksichtigen.
Meine Erstfassung eines Buches
gleicht also einem Flickenteppich und ist daher auch nicht geeignet, von
Fremden gelesen zu werden, weil kein anderer darin sehen kann, was ich bereits
darin sehe, wie nur ein Maler selbst in seiner Skizze schon das fertige Bild erkennt.
Aus diesem Grund verlässt kein Text vor der dritten Fassung meine Wohnung. Die
dritte gebe ich in der Regel Kollegen zu lesen, von deren Meinung ich etwas
halte, und arbeite dann diejenigen ihrer Anregungen, die mich überzeugen, in
die weiteren Fassungen ein. Frühestens die fünfte Fassung bekommt ein
Literaturagent oder eine Lektorin zu Gesicht, zu diesem Zeitpunkt haben meine
Texte im Grunde genommen bereits ein professionelles Lektorat durchlaufen.
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Gunnar