Manche Leser bemerken, dass ich
normalerweise nicht die Ich-Perspektive benutze, und schließen daraus, ich
würde auktorial schreiben. Mitnichten.
Zunächst einmal: Ich erzähle
immer aus der Sicht der handelnden Figuren, sehe die Welt durch ihre Augen,
ihre Gedanken, ihre Gefühle. Entsprechend suche ich nach einer Form, in der
sich dies am besten umsetzen lässt. Welche wäre das?
Die Ich-Perspektive ist zwar die
intimste Form der Erzählung und zieht den Leser daher in die Welt des
Protagonisten hinein, stößt dafür aber rasch an ihre Grenzen. Es gibt Dinge,
die der Protagonist nicht weiß, die ich meinen Lesern jedoch mitteilen möchte.
Die auktoriale Erzählweise dagegen lässt mir zwar die Freiheit zu beschreiben,
was immer ich will, ist allerdings auch distanziert.
Ich möchte das Beste aus beiden
Welten, deshalb arbeite ich mit einer Technik, die sich „erlebte Rede“ nennt.
Es handelt sich dabei um ein Stilmittel, das zwischen direkter und indirekter
Rede hin- und herschwingt. Gedanken werden in der dritten Person ausgedrückt,
meist im sogenannten „Epischen Präteritum“, also einer Vergangenheitsform, die
einem beim Lesen jedoch wie Gegenwart vorkommt, weil sie dieselbe Zeitform
benutzt wie die, in der der Protagonist handelt und lebt. (Genau genommen ist
die Bezeichnung unglücklich gewählt, weil das Entscheidende dieses
stilistischen Mittels nicht der Dialog ist, sondern die Tatsache, dass der
Leser an der Gefühls- und Gedankenwelt des Protagonisten teilhat. „Erlebte
Gedanken“ wäre treffender).
Ich will das an einem Beispiel
aus meinem aktuellen Krimi aus der Weimarer Republik, an dem ich gerade
schreibe, erläutern. Die Situation ist folgende: Hendrik klimpert ein paar Töne
auf einem Klavier und wird dadurch an seine Liebe erinnert, von der er sich im
Streit getrennt hat. Im Text heißt es:
Behutsam klappte er den Deckel wieder zu. Beinahe konnte er ihre Wärme
neben sich spüren, auf dem Klavierhocker. Hendrik schloss die Augen, um sich
der Vision hinzugeben. Töricht. Töricht. Warum quälte er sich so?
„Töricht. Töricht.“ ist
offensichtlich nichts, was ein Erzähler von sich geben könnte, sondern stammt
direkt aus dem Kopf von Hendrik. Dann folgt allerdings ein Satz in der dritten
Person. Also nicht: „Warum quäle ich mich so?“, was ein Innerer Monolog wäre,
auch nicht: „Er fragte sich, warum er sich so quälte“, was auktoriales Erzählen
wäre. Sondern eine weitere Aussage aus dem Inneren von Hendriks Kopf, die sich
jedoch formal der Beschreibung und der Zeitform in den ersten Sätzen anpasst,
der Betrachtung Hendriks von außen durch den Erzähler.
Auf diese Weise verschmelzen
Erzähler und Figur miteinander, oft lässt sich nicht entscheiden, was von wem
stammt. Deswegen ist diese Art des Erzählens so dicht und eindringlich:
Gedanken und Gefühle der Figur werden nahtlos mit objektiven Beschreibungen verwoben.
Die Entscheidung für eine
Erzählperspektive halte ich übrigens für eine der wichtigsten Entscheidungen,
die ein Autor treffen sollte, bevor er auch nur eine Zeile schreibt. Für meine
Krimis aus der Weimarer Republik beispielsweise habe ich mich entschieden, die
Geschichten ausschließlich aus der Sicht Hendriks und Dianas zu erzählen (mit
Ausnahme des Prologs, in dem zumeist der Mord geschildert wird); der Leser
nimmt also die Umstände des Mordes und die schrittweise Aufklärung durch die
Augen der beiden Protagonisten wahr.
In meinem Nibelungenroman „Krähen über Niflungenland“ dagegen,
in dem es gerade darum geht, dass unterschiedliche Sichtweisen
aufeinanderprallen, wechsele ich ständig zwischen den Menschen hin und her,
sehe die Welt mal mit Sigfrids, mal mit Hagens Augen, mal mit Grimhilds,
Brünhilds oder Gunters.
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Gunnar