Sonntag, 31. Januar 2016

Arroganz ist kein Verlagskonzept

Manchmal wundere ich mich über das, was im Lektorat der Konzernverlage so über Manuskripteinsendungen von sich gegeben wird.

Das fängt mit der endlosen Wartezeit auf Antwort an. Das Lektorat ist überlastet, weil täglich hundert Manuskripte im Verlag eintrudeln? Tja, wenn ich bis nächste Woche mit der Beantwortung warte, sind’s siebenhundert – Überraschung! Also tüte ich als Lektor die Dinger entweder umgehend ein und schicke sie zurück oder, wenn ich wirklich reingucken will, schaffe ich mir einmal die Woche oder meinetwegen einmal im Monat einen Tag, an dem ich die Manuskripte durcharbeite. Wie auch immer: Manuskripte ein halbes oder gar ein ganzes Jahr herumliegen zu lassen und dies mit der Höhe der Einsendungen zu entschuldigen, ist Unfug und das Ergebnis eines mangelnden Arbeitskonzepts.

Erstaunlich ist auch, dass uns dieselben Menschen, die uns erzählen, dass sie unter Bergen von Manuskripten ersticken, zugleich weismachen wollen, neunundneunzig Prozent davon seien Schrott. Da muss ich mich doch fragen, weshalb die Bearbeitung dann so lange dauert. Schrott erkenne ich auf der ersten Seite. Somit wären von hundert Manuskripten neunundneunzig in Windeseile vom Tisch.

Was ich besonders liebe, ist das Gerede von den „unverlangt eingesandten Manuskripten“. Ich versende keine „unverlangt eingesandten Manuskripte“. Warum sollte ich meine Zeit und die der Lektoren verplempern? Ich informiere mich über den Verlag, rufe dort an, stelle in knappen zwei Sätzen freundlich mein Anliegen dar und akzeptiere, wenn mein Gegenüber sagt, dass ihn das nicht interessiert. In dem Moment allerdings, in dem er sagt: „Schicken Sie’s mal her“, ist es kein unverlangt eingesandtes Manuskript mehr. Und ich finde es eine Frechheit, wenn die betreffende Person ihren Teil der Verantwortung daran leugnet, sich fürderhin nicht mehr meldet und das Werk nicht in angemessener Frist bearbeitet oder gar Porto fürs Zurücksenden verlangt.

Ich habe schon an Podiumsdiskussionen mit Lektorinnen teilgenommen, die mit ausgesuchter Arroganz über die Möchtegern-Autoren herziehen, die ihnen täglich mit Unverdaulichem und nicht ins Programm Passendem den Tisch zumüllen oder am Telefon unverschämt sind. Ja, und? Ich habe in meinem Leben schon mit ätzenden Verlagsleuten zu tun gehabt und käme trotzdem nicht auf die Idee, meine Frustration an Unschuldigen abzureagieren. Sippenhaft ist abgeschafft. Und jeder neue Kontakt bedeutet eine neue Chance. Wäre schön, wenn sich das auch in den Lektoraten herumspricht.

Die Buchbranche ist im Umbruch, E-Books werden in Massen geklaut, viele Autoren gehen zum Selfpublishing über, hin und wieder sogar mit Erfolg – und immer noch verhalten sich nicht wenige Lektoren gegenüber denen, von deren Arbeit sie leben, als seien sie Götter. Haben die gar keine Angst, dass die guten Autoren sich das nicht länger gefallen lassen und auf Dauer wegbleiben? Liebe Verlage, angesichts der Möglichkeiten der Selbstvermarktung, die wir mittlerweile haben – wäre es da nicht an der Zeit, mal die eigene Gutsherrenmentalität zu hinterfragen? Von einer Begegnung zwischen Verlagen und Autoren auf Augenhöhe sind wir nach wie vor meilenweit entfernt.

Es gibt kein Recht darauf, gedruckt zu werden. Aber es gibt ein Recht darauf, menschenwürdig behandelt zu werden. Dieses Recht muss ich mir auch nicht verdienen, es steht mir per Geburt zu. Sogar wenn ich ein durchgeknallter, sich selbst überschätzender Bewerber bei DSDS wäre.

(Übrigens ist Arroganz auch kein Erfolgsrezept für Buchhändler. Die neulich gehörte süffisante Bemerkung: „Ihr Name ist mir bisher noch nicht untergekommen – woran liegt das?“ hätte ich, wenn ich fix gewesen wäre, eigentlich beantworten müssen mit: „Vermutlich, weil Sie Ihre Hausaufgaben nicht gemacht und die 80.000 Neuerscheinungen des letzten Jahres nicht ordentlich durchgelesen haben.“ Der Glaube, was jemand nicht kennt, könne auch nicht von Wert sein, verrät genau die Hybris, an der der ganze Literaturbetrieb krankt.)

Ein Wort noch zu der immer wieder gehörten Forderung, Autoren sollten sich erst mal mit dem Programm eines Verlages beschäftigen, ehe sie ein Manuskript einreichen: Meine Aufgabe ist es, ein gutes Buch zu schreiben, nicht, den Markt besser zu kennen als die Verlagsbranche. Ein Nischenverlag hat möglicherweise ein erkennbares Programm, ein Publikumsverlag kaum. Wichtiger noch: Alles, was ich als Autor erfahre, wenn ich mir die Internetpräsenz eines Verlages oder dessen Bücher in der Buchhandlung anschaue, ist seine Programmplanung von vor zwei Jahren. Es ist mir nicht nur einmal passiert, dass ich zu hören bekam: „Wären Sie vor zwei Jahren gekommen, da haben wir so etwas wie Ihr Manuskript gesucht. Aber jetzt entwickeln wir uns in eine andere Richtung.“

Die logische Schlussfolgerung daraus ist keineswegs, von nun an kleinlaut daherzukommen und zu fragen, ob denn bitte vielleicht unter Umständen das eigene Manuskript noch ins Programm passe. Die logische Schlussfolgerung ist vielmehr: Wenn es Verlage gibt, die sich von mir wegbewegen, muss es auch welche geben, die sich auf mich zubewegen. Also suche ich antizyklisch. Verlage, die noch nicht haben, was ich mache, bei denen ich es mir aber vorstellen könnte. Genau so habe ich meinen ersten Verlag gefunden. Angerufen und gesagt: „Ich weiß, Sie haben zurzeit noch keine Romane im Programm, aber ...“ Und ihnen dann Argumente geliefert, weshalb mein Manuskript meiner Ansicht nach eine gute Erweiterung Ihrer Palette wäre. Wie es der Zufall wollte, haben sie damals gerade über eine Erweiterung nachgedacht.

Wenn Verlage auf ihrer Website schreiben, dass sie keine neuen Manuskripte mehr annehmen, ist das zwar bedauerlich, aber wenigstens ehrlich. Die Erwartung, Autoren sollten nach neuen Wegen suchen, um auf ihre Werke aufmerksam zu machen, also gewissermaßen den Entertainer geben und Lektoren bespaßen, ist dagegen an Überheblichkeit nicht mehr zu überbieten. Und die gebetsmühlenartig wiederholte Behauptung, mit unverlangt eingesandten Manuskripten habe man ohnehin keine Chance, ist Unsinn. Wie denn sonst? Mit Vitamin B? Indem ich abends mit dem Verleger einen saufen gehe? Wenn ich neu in einem Geschäft bin, muss ich Klinken putzen, anbieten, anbieten, anbieten und mich hocharbeiten. Das ist mühsam, das ist frustrierend, aber im Prinzip der einzige Weg. Übrigens auch, wenn ich mir einen Literaturagenten suche: Dann verschiebe ich das Klinkenputzen nur um eine Position nach hinten.

Ein Agent hat mir mal ein Bonmot von Michael Ende erzählt (Keine Ahnung, ob es wahr ist, aber ganz sicher ist es wahrhaftig): „Erfolg ist eine Portofrage.“

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Gunnar