Sonntag, 8. März 2015

Wo die Welt noch in Ordnung ist


Damit wir uns recht verstehen: Ich habe nicht vor, aus Berlin wegzuziehen. Abgesehen von den Freunden, die ich hier habe, schätze ich dafür allein die Infrastruktur der Bibliotheken zu sehr. Trotzdem geht es mir regelmäßig so, wenn ich wie in dieser Woche in ländlichen Gegenden auf Lesereise unterwegs bin, dass ich mich frage, ob ich dort nicht glücklicher wäre.

Ich weiß natürlich, dass das eine Illusion ist. Ich komme aus einer Kleinstadt, ich kenne das Ausmaß an sozialer Kontrolle und Heuchelei, das dort herrscht. Deswegen fühle ich mich ja in den Extremen am wohlsten: in Großstädten und der Einsamkeit des schottischen Hochlands.

Dennoch: Wie oft geschieht es, dass ich in Berlin vor die Tür trete und denke: Was laufen hier bloß für Bekloppte herum! Mich stören die Selbstsucht, die Rücksichtslosigkeit, die Aggressivität, die man an jeder Supermarktkasse erleben muss. Dass ich als Radfahrer täglich mein Leben riskiere, weil überall Autos in der zweiten Reihe parken und deren Fahrer dann auch noch achtlos die Türen aufreißen. Dass Menschen, die sich auf dem Fußweg entgegenkommen, nicht ausweichen, sondern sich lieber über den Haufen rennen.

Da, wo die Welt noch in Ordnung ist, gehen die Menschen zumindest freundlich miteinander um. Und wenn sie über Politik diskutieren, dann weniger verbohrt und dogmatisch. Das kommt mir so wunderbar normal vor, gerade weil ich im Augenblick das Gefühl habe, dass in diesem Land mehr und mehr die Fanatiker, die Bekloppten, die Neurotiker das Sagen haben und unser Denken beherrschen. Mit Bombendrohungen Karnevalsumzüge verhindern. Oder mit Trillerpfeifen offene Diskussionen. Quotenregelungen für Straßennamen fordern, weil wir ja sonst keine Probleme haben. Oder eine Jasna Strick, die dank feministischer Seilschaften von den Mainstreammedien hofiert wird und etwa in der Süddeutschen Zeitung weinerlich und selbstverliebt darüber lamentieren darf, dass ihr kein Job vor die Füße gelegt wird. Und dafür von einer quasi-gleichgeschalteten Presse betüddelt wird.

Apropos Presse. Bin ich eigentlich der Einzige, der die Heuchelei dort zunehmend unerträglich findet? Dieselben Opportunisten, die seit langem zu Hofberichterstattern verkommen sind und nicht einmal mehr die grundlegendsten Recherchen anstellen, sondern kritiklos jeden Dreck von Politikern und Lobbyisten übernehmen, instrumentalisieren die Ermordeten von Charlie Hebdo mit ihrem „Ich bin Charlie Hebdo“, um damit selbst ein bisschen revolutionäre Aura abzubekommen. Dieselben Leute, die sich (zu Recht) darüber empören, wenn Islamisten keine Kritik vertragen und Karikaturen mit Terror beantworten, jaulen auf, wenn in der Öffentlichkeit (ebenfalls zu Recht) das Wort „Lügenpresse“ die Runde macht. Dann versuchen sie diejenigen, die dieses Wort benutzen, in die Nähe eben jener Terroristen zu rücken, um sie auf diese Weise mundtot zu machen.

Der britische Komiker John Cleese hat mal in einem Interview über seine Serie „Fawlty Towers“ gesagt, die Bewegung der Politischen Korrektheit werde weitgehend von Fanatikern getragen. Und wenn die Gesellschaft von den empfindlichsten Leuten regiert werde, dann sei das krank. Denn dann sei der allgemeine Maßstab der von Leuten, die ihre Gefühle schlecht beherrschen. Dem ist nichts hinzuzufügen.

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Gunnar