Hat es sich bereits
herumgesprochen? Ich bin ein Musikjunkie. Demnächst, wenn in Berlin die
Sommerferien beginnen, werde ich wieder wie jedes Jahr bei dreißig Grad im
Schatten mit dem Fahrrad bis nach Köpenick, Marzahn oder Hohenschönhausen
rausfahren, um mir CDs aus den Bibliotheken zu leihen. Wobei mich das Radeln
nicht nur mit Glückshormonen versorgt, sondern auch der Reduzierung meines
Winterspecks gut tut. Falls du dich fragst, warum gerade zu Beginn der
Sommerferien – weil dann die Urlaubssaison beginnt und die interessanten Sachen
endlich mal nicht ständig ausgeliehen sind.
Jedenfalls, weil ich so ein
Musiknarr bin, ist natürlich die Fete de la Musique zum Sommeranfang immer ein
Höhepunkt des Jahres für mich. Schon Wochen vorher bereite ich mich darauf vor,
indem ich das Programm studiere, sämtliche Bands, die mir interessant
erscheinen, vorab bei Youtube anhöre und daraufhin entscheide, wen ich
unbedingt live erleben möchte. Das meine ich mit „verrückt“.
Ich habe einen ziemlich breit
gefächerten Musikgeschmack, ich höre alles mögliche, gern auch als Crossover,
aber mein Herz gehört definitiv dem Progressive Rock (dem melodischen Teil,
nicht dem experimentellen). An der Fete de la Musique interessiert mich natürlich
vor allem, unbekannte Bands zu entdecken. Trotzdem musste ich diesmal unbedingt
auf den Oranienplatz in Kreuzberg zu Element
Of Crime. Ich mag die Band und ihre Musik. Sven Regener hat eine ganz
eigene Art, Texte zu schreiben und darin die Poesie des Alltags auszudrücken,
auf eine oft surreale Weise, die mir gut gefällt. Meine Lieblingszeile von ihm
hat er gestern zu meiner Freude während der Zugabe gebracht: „Vom Schwimmbad
kommen die, die nicht ertrunken sind ...“
Ich konnte einen guten Platz
ergattern, so etwa siebte Reihe, schätze ich. Das lag daran, dass ich
frühzeitig da war. Letztes oder vorletztes Jahr hat die Band schon mal bei der
Fete de la Musique gespielt, auf dem Kollwitzplatz im Prenzlauer Berg, und da
war kein Rankommen. Auch diesmal strömten wieder die Massen, deshalb bin ich
wohlweislich schon zur Gruppe davor hingegangen, ein Duo, um genau zu sein. Und
habe es nicht bereut, denn Apples in
Space haben mir ebenfalls gut gefallen mit ihren ruhigen, oft melancholischen
Liedern.
Immer, wenn ich ein Konzert
besuche, packt mich anschließend die Wehmut. Ich liebe meinen Beruf, er ist der
schönste der Welt, und ich möchte nichts anderes sein als ein
Geschichtenerzähler, aber manchmal wünsche ich mir doch, Rockmusiker zu sein.
Nein, nicht wegen der Groupies, keine Unterstellungen bitte! Nicht einmal wegen
der Energie, die man vom Publikum zurückbekommt. Sondern weil man auf eine viel
elementarere Weise in seine Gefühle gehen und damit arbeiten kann.
Als ich vor etlichen Jahren
anfing, öffentliche Lesungen zu halten, und noch auf der Suche nach meinem Stil
war, habe ich mal bei einer Kurzgeschichte versucht, emotionaler als üblich zu
lesen. Kollegen haben mir dann ziemlich deutlich die Rückmeldung gegeben, dass
dabei die Grenze zur Peinlichkeit leicht überschritten wird.
Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht,
woran es liegt, dass ein Sänger auf der Bühne schreien, schluchzen, Tränen
vergießen kann, ohne dass es unangenehm wirkt, während ein Schriftsteller immer
eine gewisse Distanz zu seinen Texten wahren muss. Sicher, die Größe des
Publikums mag eine Rolle spielen, in der Anonymität der Menge trauen sich die
Menschen eher, Gefühle zu zeigen, und gestehen es daher auch ihrem
Stellvertreter da vorn eher zu. Aber daran allein kann es nicht liegen; auch vor
einem vollen Saal würde ein Schriftsteller, der gleichermaßen aus sich
herausgeht, unangenehm berühren. Vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass die
Gefühle, die der Sänger ausdrückt, eingebettet sind in Gefühle, die durch die
Instrumente erzeugt werden. Ein Autor, der während einer Lesung seine Gefühle
zur Schau stellt, ist gewissermaßen nackt.
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Gunnar